May December
Todd Haynes, USA, 2023o
Twenty years after their love story hit the press, Gracie and her husband Joe, 23 years her junior, are preparing for their twins' transition to college. When Hollywood actress Elizabeth spends time with the family because she is to play Gracie in a movie, the couple's underlying conflicts come to the surface. In addition, the actress interferes more and more in the family life.
Der Amerikaner Todd Haynes hat sich mit Far From Heaven (2002), Carol (2015) und der Mini-Serie Mildred Pierce (2011) einen Namen für Melodramen mit vielschichtigen Frauenrollen gemacht – Frauen, die sich von Fesseln überkommener Familienideale und Wertvorstellungen zu befreien versuchen und auf heftige Ablehnung stossen. May December ist insofern vertrackter, als hier die Protagonistin kein Opfer gesellschaftlicher Zwänge ist, sondern ihrerseits im Zwielicht erscheint: Julianne Moore spielt eine Frau Ende fünfzig, die vor mehr als zwei Jahrzehnten für einen Skandal sorgte, als sie sich mit einem 13-jährigen Jungen einliess und von ihm schwanger wurde; zwei Kinder gebar sie im Gefängnis. Zwanzig Jahre später ist das Paar mit seinen bald drei erwachsenen Kindern immer noch zusammen und erhält Besuch von einer Schauspielerin (Natalie Portman), die die Protagonistin der skandalträchtigen Geschichte in einem Spielfilm verkörpern soll. Ihre Recherche bringt das fragile Familienkonstrukt bald in Schräglage – und man fragt sich zunehmend, wer hier wen beobachtet und manipuliert, wer die Kontrolle behält und wer welche Ziele verfolgt. Das ist subtil erzählt und faszinierend in seinen Ambivalenzen, auch wenn das Ende des Films unentschieden wirkt. Eine lückenlose Aufklärung des Familiendramas sollte man jedenfalls nicht erwarten; vielmehr entlässt einen das psychologische Drama mit einem beunruhigenden Gefühl moralischer Verunsicherung.
Kathrin Halter