Juliette au printemps
Blandine Lenoir, France, 2024o
Children's book illustrator Juliette returns from Paris to her hometown in the French province. There she hopes to spend two relaxing weeks with her family. Instead, she meets her sister, who is in the midst of an existential crisis, her loving but moody father, her mother, who has just discovered the New Age for herself, and her beloved grandmother, who has to come to terms with her new life in a nursing home. And then there's the friendly, somewhat lonely Pollux.
Man weiss es aus eigener Erfahrung und vielen Filmen: Wer nach langer Zeit an den Ort seiner Kindheit zurückkehrt, stösst auf zurückgelassene, vielleicht überwunden geglaubte Probleme von damals. So ergeht es in der neuen Tragikomödie von Blandine Lenoir (Annie Colère) auch der Illustratorin Juliette, die sich in einer Krise mit depressiven Symptomen eine Auszeit nimmt und für ein paar Tage ins Haus ihres längst geschiedenen und allmählich kauzig werdenden Vaters in der französischen Provinz zurückkehrt, wo man gerade das Haus der Grossmutter räumt. Auch Juliettes ältere Schwester, eine fliegende Coiffeuse und Wuchtbrumme mit Töchtern, allzu sanftem Mann und allzu enthusiastischem Liebhaber, und ihre Männer verschleissende Mutter, die sich als Malerin üppiger Akte versucht, sind in der Gegend geblieben. Beide sind für die zarter besaitete Juliette schwer zu ertragen – und wären dies auch für uns, würde die Schwester nicht von der buchstäblich umwerfenden Sophie Guillemin (feste Grösse des französischen Kinos seit Harry, un ami qui vous veut du bien), die Mutter von der schauspielernden Regisseurin Noëmie Lvovsky mit robustem Charme ausgestattet. Natürlich brechen bald alte Konflikte auf, und auch eine wohlverdrängtes Familiengeheimnis wird gelüftet, doch umschifft Blandine Lenoir die Klischees immer um Haaresbreite: Das grosse Drama bleibt aus, die nötigen Bereinigungen finden im Kleinen statt, und die Happy Ends in Sachen Liebe und Selbstfindung bleiben sanfte Andeutungen. Dass sich die sanfteren Töne durchsetzen, verdankt sich auch der charmanten und vielschichtigen Verkörperung Juliettes durch die 34jährige Rocksängerin Izïa Higelin und ihres liebenswerten Vaters durch Jean-Pierre Darrousin, den man als grantigen Mathematikprofessor in Le théorème de Marguerite noch in bester Erinnerung hat.
Andreas Furler