Vaters Garten - Die Liebe meiner Eltern
Peter Liechti, Switzerland, 2013o
The film is the protocol of a late re-encounter between the director and his parents - and the attempt at a personal historical revision. The result is a new picture of the parents, which also provides an insight into an era whose end has long since been sealed.
Man könnte sagen, Liechti sei ganz unkriegerisch ins System eines wertefesten Bünzlitums gedrungen, das auch in ihm hockt und in uns: als Gefahr, als Möglichkeit, als Nostalgie. Und deshalb ist er nun viel weiter gekommen als bis zum Porträt des Vaters, dieses lebensfrohen, hartnäckigen Rechthabers, (...) viel weiter auch als bis zum Porträt der Mutter, einer schwermütigen, frommen Frau (...), nämlich bis zum beständigen und überständigen Charakter einer Generation mit ihrer sturen Würde. Im Grunde, scheints, ist Peter Liechti aber zu sich selbst gelangt.
Peter SchneiderGalleryo
Fürchterlich liebenswürdig: Der Schweizer Filmemacher Peter Liechti (Signers Koffer) lässt in seinem Dokumentarfilm Vaters Garten die eigenen Eltern von sich erzählen.
Fassen wir zusammen. So alt, kahl und klug einer wird: Solange man Eltern hat, bleibt man ein Kind, ein liebendes im besten Fall, ein hassendes im schlimmsten oder etwas dazwischen, auch das soll vorkommen. Bei allem, was man tut, geht es doch nur um das eine: den Stolz des Vaters und das Leuchten in Mutters Augen. Und hat man es erreicht, ist es vielleicht auch wieder nicht recht, denn es erinnert einen an dieses Kindsein, das nicht endet, und das kann genierlich werden und ein Erwachsenenleben belasten.
Im Schweizer Kino ist das allein in diesem Jahr so oft ein dramatisches Grundmotiv und psychologisches Fundament gewesen - in Marcel Gislers Rosie, in Bettina Oberlis Lovely Louise und jetzt im Dokumentarfilm Vaters Garten von Peter Liechti -, dass einem dazu schon fast nichts mehr einfällt als: So ist es halt, und wie es ist in seinem Kreislauf, ist es menschlich, bitterzart und fürchterlich; wobei man doch immer bedenken sollte, dass nicht mehr die Hebamme dran schuld ist, wenn man dann einmal stirbt.
Jedes Wort ein Haken
Unter den Filmen vom Glück und Elend familiärer Verhältnisse ist Vaters Garten der, welcher am schmerzlichsten ans Lebendige geht. Er ist der berührendste in seiner Unsentimentalität. Der fürchterlichste in seiner Liebenswürdigkeit. Der genauste in seiner Ambivalenz. Das ist, weil der Autor Peter Liechti, Jahrgang 1951, sich selbst an die lebendige, lang beiseitegelegte Kindlichkeit ging und den eigenen Eltern an ein Elterntum, von dem sie glaubten, sie hätten es überstanden, so wie ihre Liebe all die Lieblosigkeiten überstanden hat, die im Lauf von 63 Jahren Ehe so zusammenkommen.
Ein Sohn hört seinen Eltern zu und bekommt viel zu hören. Es sei nicht leicht gewesen mit ihm, viel schwierige' als mit Ursi, der Schwester, sagt die Mutter. Keine Harmonie. Immer nur Widerworte, gegen die sie sich nicht habe wehren können, und jedes ihrer Worte ein Haken, an dem er sie aufgehängt habe. Wirklich, sie hätte sich oft einen «einfacher denkenden» Buben gewünscht.
Nein, leicht wars nicht, gibt der Vater zu verstehen, nicht für einen, dem es nicht wohl ist, wenn keine Ordnung ist wie in seinem Schrebergarten, wo die Tomatenstecken gewaschen und etikettiert werden und die Erdbeeren ausgerichtet nach der Schnur wachsen. Und wenn er, der Peter, dann gekommen sei mit langen Haaren und zerrissenen Jeans, dann habe man sich also schon geschämt und sich gefragt, ob man eigentlich alles falsch gemacht habe.
Aber leicht wird es eben auch für Peter Liechti nicht gewesen sein, vermutlich, der hineinwuchs in rebellischere Zeiten und darin die Eltern verlor und gewissermassen abhängte für lange Jahre, nicht im Streit, sondern weil Vater und Mutter auch nicht anders konnten als zu sein, wie sie waren: die Kinder ihrer Eltern und ihrer Zeit.
Das ist die Ausgangslage und bereits eine gescheite Erkenntnis in Vaters Garten. Der Film ist ein Werk der Reife und der Versöhnlichkeit. Man könnte sagen, Liechti sei ganz unkriegerisch ins System eines wertefesten Bünzlitums gedrungen, das auch in ihm hockt und in uns: als Gefahr, als Möglichkeit, als Nostalgie. Und deshalb ist er nun viel weiter gekommen als bis zum Porträt des Vaters, dieses lebensfrohen, hartnäckigen Rechthabers, der seinen Garten diszipliniert und seine Frau, der er es immer noch nachträgt, dass sie sich die AHV auf ein eigenes Konto überweisen lässt (es fallen ihm da ein paar Schikänchen ein, dass einen schaudert). Viel weiter auch als bis zum Porträt der Mutter, einer schwermütigen, frommen Frau, deren Hoffnungen sich im Glauben aufgelöst haben und deren Liebe mit einem Schrebergarten konkurriert. Nämlich bis zum beständigen und überständigen Charakter einer Generation mit ihrer sturen Würde. Im Grunde, scheints, ist Peter Liechti aber zu sich selbst gelangt.
Aus Eltern werden Hasen
Damit es gelingen konnte, schuf ein erwachsenes Kind sich künstlerisch die nötige Distanz. In entscheidenden Momenten der Nähe verlässt der Film die alltägliche Realität der Liechtis und geht über in ein Puppenspiel (mit den Stimmen von Nikola Weisse, Horst Warning und Stefan Kurt). Dort werden aus Eltern braune Hasen, Fluchttiere mit Hemd und Küchenschürze, und Peter, der Sohn, und Liechti, der Filmautor, treten als schmerzgrinsende Marionette aus ihrer respektvollen Zurückhaltung und schlagen ihren Holzkopf auf den Holzboden Familie. Da nun, in Hochdeutsch gehaltenen Originalzitaten und einmal in einem wunderbaren Robert-Walser-Gedicht, konzentrieren sich die Hakenschläge eines Familienlebens, die Skurrilität des Beständigen und das Wehmütige und Schmerzhafte einer langen Liebesgeschichte, in der die Liebenden von sich sagen, sie hätten in all den Jahren in gar nichts zusammengepasst.
Mit dem Kopf gegen die Mauer
Nicht alle Fremdheit wurde überwunden, wir reden hier nicht von filmischer Versöhnungsmagie. Peter Liechti, der schwierige Sohn, ist auch im übertragenen Sinn manchmal mit dem Kopf gegen eine Mauer gerannt. Sie hoffe, sagt die fromme Mutter einmal, das Beten verhelfe ihr zu einer kleinen Wohnung im Haus des Herrn. Wo er lande ihrer Meinung nach, fragt der Sohn, und die Mutter zögert lang. Sie bete halt darum, dass er auch ins Paradies dürfe, sagt sie dann. Und die Schwester, die Ursi, die zu Besuch gekommen ist und noch besser als die Mutter weiss, wo Gott und der Teufel hocken, sagt gar nichts. Solche Abgründe überspringt einer auch mit dem feinsten Film nicht, wahrscheinlich.