20,000 Days on Earth
Iain Forsyth, Jane Pollard, UK, 2014o
Nick Cave is one of the most successful singer-songwriters of the last twenty years. In addition to his career as a musician, the Australian is also active in other areas of the arts. The portrait film takes place on the 20'000th day in the life of Cave and oscillates playfully between documentary approach and fiction.
Inspiré, fourmillant d'idées de mise en scène, ce documenteur distille aussi avec parcimonie les moments musicaux, décuplant ainsi leur puissance. Et notre émotion.
Jérémie Couston20 000 jours sur Terre est un portrait touchant et passionnant, qui non seulement ravira les sectateurs de Nick Cave mais devrait en grossir les rangs.
Thomas SotinelGalleryo
Der Film «20 000 Days on Earth» denkt sich einen Tag im Leben von Nick Cave aus. Das Ergebnis ist eine clevere Performance.
Rockstars muss man aus der Entfernung erkennen. Das sagt Nick Cave, als ungefähr die Hälfte dieses Films vorbei ist, der doch vorgibt, uns den australischen Sänger näherzubringen. Jedenfalls begleiten wir ihn an einem ganzen Tag, von sieben Uhr, wenn der Wecker geht, bis ans Ende eines Auftritts und darüber hinaus – es ist der zwanzigtausendste Tag im Leben dieses Musikers, der also 57 Jahre alt ist und schon lange in Brighton an der englischen Küste lebt.
Nur eben, was dieser Musikfilm besser weiss als die meisten seiner Art: Jeder Glamour wird banal, wenn a) die Rockdoku nur verwackelt genug draufhält, und b) das Biopic mit einem Hauptdarsteller aufwartet, der den Rockstar nur haarscharf genug imitiert.
Dass dieser Film anders ist, liegt zunächst an Nick Cave. Er ist klug genug, zu wissen, dass sein Mythos grösser ist als das Leben und dass er folglich in der Nahaufnahme nur verlieren kann. Es liegt aber vor allem auch an Jane Pollard und Iain Forsyth, die «20 000 Days on Earth» konzipiert und in Szene gesetzt haben. Eher Künstler und Performer denn Filmemacher, wurden sie für ihre Re-Enactments bekannt, etwa, als sie 1998 das letzte Konzert von David Bowie als Ziggy Stardust nachstellten.
Was man in diesen 95 Minuten also sieht, ist weniger die filmische Dokumentation des Alltags von Nick Cave. Sondern eine clever verspiegelte Performance über einen Rockstar, seine Aura und deren Aufrechterhaltung bei zunehmender Verbürgerlichung des Alltags (Cave ist verheiratet, hat zwei Kinder und ein Büro, in dem er Songs schreibt). So fanden an Caves zwanzigtausendstem Tag – wie durch eine glückliche Fügung der Regie – nicht nur Proben statt für sein letztes Album («Push the Sky Away», 2013). Auch sprach der Sänger in der Psychoanalyse über die früheste Erinnerung an seinen Vater. Das war, als der ihm aus «Lolita» vorlas.
Der Hang zur Überdeutlichkeit
Das kann glauben, wer will. Gesichert ist, dass sich Nick Cave und Darian Leader, der bekannte britische Psychoanalytiker, vor dem Dreh nie getroffen haben. Ihre Gespräche waren aber nicht geskriptet, sondern improvisiert, sodass offen bleibt, was wahr ist und was spontane Flunkerei. Er habe viele seiner Songs um frühe Kindheitserinnerungen herum geschrieben, sagt der Starsänger zum verständnisvollen Nicken des Staranalytikers. Und tatsächlich, ob er nun von Janine und Julie erzählt, seinen ersten Freundinnen, die ihn in Mädchenkleider steckten, oder von seinem Vater: Jedesmal klingt es wie die Strophe eines Nick-Cave-Songs.
Schade nur, dass Cave ausplaudert, was offensichtlich ist: «Es geht darum, diese Geschichten zu erzählen und sie zu mythologisieren.» Aber auch das, seinen Hang zur Überdeutlichkeit, kennt man aus vielen seiner Lieder.
Nicht immer ist der Film so absichtsvoll. Das Mittagessen bei Warren Ellis etwa, dem Gitarristen und Geiger der Bad Seeds, geht leicht und lustig über die Bühne mit Gesprächen über Jerry Lee Lewis, Nina Simone und ihren Kaugummi. Erst später, beim Blättern in den Presseunterlagen, erfährt man, dass dieses wunderliche alte Haus an der Steilküste zur See gar nicht die Bleibe eines Bandmitglieds ist, sondern ein Museum der Küstenwache.
Auch das Archiv mit den Devotionalien aus Nick Caves dreissigjähriger Karriere steht in Wahrheit in Australien und nicht in Brighton, wohin man bloss ein paar Kisten mit Fotos und Tagebüchern verbracht hat, auf dass Nick Cave über seine Berliner Jahre und die Wucht des britischen Wetters improvisiere. Und während er im Jaguar durch Stadt und über Land fährt, steigen wie durch Geisterhand berühmte Gäste und Weggefährten zu: Mit Kylie Minogue oder dem Schauspieler Ray Winstone redet Cave dann, nicht ganz ungezwungen, über das Leben auf der Bühne und das Wesen der Performance.
Das Monster herauslocken
Es sind banale Dinge, die so enthüllt werden: dass Songs nach einiger Zeit uninteressant werden. Oder dass es auf der Bühne darum geht, sich zu verwandeln. Nur, dass das bei Nick Cave natürlich wieder klingt, als performe er einen Song: «Die Wahrheit taucht aus den Worten auf wie die Buckel eines Monsters aus der Wasseroberfläche. Im Konzert geht es darum, das Monster an die Oberfläche zu locken.»
Dass die Performance nicht der Inhalt dieses Films ist, sondern seine Form: Das ist nie besser zu sehen als im Finale, wenn die Band spielt und Nick Cave singt und einen Finger zur Berührung in die erste Reihe streckt. Für alle Fans, die dem Menschen hinter Nick Cave nahe kommen wollen, ist dieser Film wie dieser Finger. Alle anderen wissen: Rockstars erkennt man aus der Entfernung. Sie misst exakt so viel wie die Breite eines Bühnengrabens.