Le milieu du monde
Alain Tanner, Switzerland, France, 1974o
Paul is married, a successful engineer, and a conservative candidate in an upcoming local election. He falls in love with Adriana, a café waitress from Italy. Paul's party is very critical of foreign labour and wants to keep Switzerland to the Swiss. Where Paul falls deeper and deeper into the relationship and is ready to leave his wife, Adriana feels the social pressure growing and has to make her own decision.
Geld, Haus, Frau, Kinder, angesehener Job, angehende (rechtsbürgerliche) politische Karriere und ein hübsches rotes Auto. Dann verknallt sich der nach gängigen Massstäben erfolgreiche Paul (Philippe Léotard) in eine italienische Kellnerin und verliert fast alles. Die nackte Handlung von Le milieu du monde klingt fast so penetrant durchschnittlich, wie es deren männlicher Protagonist ist. Vom Objekt seines Begehrens lässt sich das nicht sagen, teils, weil Adriana (Olimpia Carlisi) wie viele Frauen in Filmen von Alain Tanner eine rätselhafte und introvertierte Figur ist, teils, weil es Paul bis zum Ende versäumt, sich für irgendetwas anderes als das Körperliche an ihr zu interessieren. Im zweiten der drei Filme, die Tanner gemeinsam mit dem englischen Kunstkritiker und Autor John Berger schrieb, ist das Durchschnittliche Programm. Das gilt auch für den Handlungsort, ein Waadtländer Dorf, das sich aufgrund seiner geografischen Lage als «Mittelpunkt der Welt» bezeichnet. Der Ortsname inspiriert Tanner und Berger 1974, sechs Jahre nach dem 68er-Aufbruch, zu poetisch-politischem Sinnieren über Konformität und Stagnation, da man sich laut Voice-over in einer «Zeit der Normalisierung» befindt. Elegant flechten sie das Thema in alle Ebenen des Films ein: von den wiederkehrenden Aufnahmen trostloser Winterlandschaften bis zur Affäre im Zentrum der Handlung, deren bourgeoiser Normalisierung sich Adriana schliesslich entzieht. Dass der Film in vielen Belangen gut gealtert hat, liegt zum einen an der Scharfsichtigkeit, mit der Tanner und Berger die damalige Stimmung einzufangen wussten, ohne sie in eine dogmatisch-eindeutige Form zu pressen. Zum anderen frappiert, wie wenig sich die dominierenden Bilder von Männlichkeit, Erfolg und dem Wert des Rationalen seither verändert haben.
Dominic Schmid