Anselm – Das Rauschen der Zeit
Wim Wenders, Germany, France, 2023o
This unique cinematic experience dives deep into an artist’s work and reveals his life path, inspiration, and creative process. It explores his fascination with myth and history. Past and present are interwoven to diffuse the line between film and painting, allowing the audience to be completely immersed in the remarkable world of one of the greatest contemporary artists, Anselm Kiefer.
Anselm Kiefer wurde, wie Wim Wenders, kurz vor Kriegsende 1945 geboren. Der Künstler und der Filmemacher sind seit 1991 befreundet. Kiefer hat sich in seinen raumgreifenden Gemälden und Installationen ein Leben lang (wenn auch nicht ausschliesslich) mit deutscher Geschichte und nordischer Mythologie befasst – so auch mit dem Verdrängten aus der Nazizeit. Wo dabei die Grenze zwischen kritischer Reflexion und untergründiger Faszination verläuft, kann auch dieser Film nicht ganz klären. Anselm nähert sich dem Werk Kiefers beschwörend und visuell beeindruckend: weit ausholende Kamerafahrten durch riesige Ateliers und durch geheimnisvoll ausgeleuchtete Gelände wie die stillgelegte Seidenspinnerei im südfranzösischen Barjac, wo Kiefer Wege und Tunnels angelegt hat. Ergänzt werden diese Betrachtungen durch dokumentarische Aufnahmen des Schaffensprozesses, in denen man Kiefer etwa getrocknete Pflanzen mit dem Gasbrenner anbrennen oder aufgekochtes Blei auf ein Gemälde giessen sieht. Hinzu kommen ein paar der raren Fernsehinterviews, die einen Einblick in die politische Brisanz des Künstlers geben. Aus der filmischen Herangehensweise resultiert ein faszinierendes, doch auch zwiespältiges Erlebnis: Kiefers Kunst wird plastisch greifbar, seine Person bleibt letztlich unzugänglich, weil ihn Wenders nicht nur als Zauberer, sondern auch als grossen Schweiger inszeniert.
Kathrin Halter