Monster
Hirokazu Kore-eda, Japan, 2023o
When 13-year-old Minato starts behaving increasingly strangely at home, his mother decides to confront the teachers at school. At first glance, everything seems to indicate that one of the teachers is responsible for Minato's behavior. But with each new view of things - after that of the mother, that of the teacher in question, and finally the one of the children - the story and its recurring details appear in a completely different light.
Verstehen die Erwachsenen die Welt der Kinder? Nach Auffassung des Japaners Hirokazu Kore-eda bestenfalls ansatzweise. Und Kore-eda darf man mit gutem Grund glauben. Der 1961 geborene Autor und Regisseur lotet seit den mittleren 1990er Jahren die komplizierten Gefühle zwischen Kindern und Erwachsenen in Familien und Freundschaften aus. Aus dieser lebenslangen «Feldarbeit» sind schon Meisterwerke wie Nobody Knows und Shoplifters hervorgegangen. Monster gehört in die Reihe der grossen Kore-edas. In der ersten Häflet an Rashomon erinnernd, den Kurosawa-Klassiker der wechslenden Perspektiven, entwickelt der Film die Figur des halbwaisen Schuljungen Minato, der seinen Lehrer als Monster darstellt: Der Lehrer habe ihn geschlagen und vor der Klasse als Schweinehirn bezeichnet. Erleben wir dieses Drama der Verstörung und der Anschuldigung anfänglich aus der Sicht von Minatos Mutter und scheint die befremdlich defensive Reaktion der Schule ihrem Sohn Recht zu geben, so sehen wir es unversehens erneut, diesmal aus der Sicht des Lehrers, in welcher Minato als monströser Mobber eines Mitschülers erscheint. Der dritte Teil klärt den Widerspruch atemberaubend auf: Jetzt sehen wir die Ereignisse aus Sicht der Kinder und begreifen, dass wir bis dahin nichts begriffen haben über deren Welt der Wünsche, Wunder und Fragen, der kleinen Heimlichkeiten und Lügen, der Freunsdschaften und der Verrats, der bitteren Enttäuschungen und der wieder gefundenen Gemeinschaft. Grossartig dabei, wie einführte Motive und Requisiten ständig in neuem Licht erscheinen, verblüffend, wie Kor-eda angefangene Handlungsstränge in unerwartete Richtungen treibt, zutiefst berührend sein Verständis für alle Figuren. Kleine Irritationen gehören zu diesem Spiel des wechselnden Mitgefühls und allmählichen Verstehens, doch keine Sorge: Der Meister wird es richten. – 2023 prämiert mit dem Drehbuchpreis von Cannes.
Andreas Furler