Boléro
Anne Fontaine, Belgium, France, 2024o
Boundary-pushing Russian dancer and actress Ida Rubinstein selects renowned French composer Maurice Ravel to compose the music for her next ballet. Ravel ends up creating his greatest success ever: Boléro.
Natürlich kann man darüber streiten, ob das 1928 uraufgeführte Orchesterstück «Boléro» wirklich eines der bedeutendsten Werke des französischen Komponisten Maurice Ravel (1875-1937) ist. Bestehend aus einer einzigen Melodiefolge, die zum eisernen Marsch-Rhythmus einer Trommel sage und schreibe siebzehnmal durchexerziert wird, ist das fünfzehnminütige Crescendo auf alle Fälle Ravels Greatest Hit – der Vorspann des Spielfilms Boléro belegt dies mit einer Montage (mehrheitlich grausiger) Interpretationen ironisch. Die französische Regisseurin Anne Fontaine unternimmt sodann den reizvollen Versuch, einen ganzen Film fast ausschliesslich der Entstehung, Premiere und Nachwirkung von Ravels spanischer Fantasie zu widmen: wie die exzentrische Choreographin Ida Rubinstein (Jeanne Balibar) den ewigen Junggesellen Ravel mit diesem Stück purer Fleischlichkeit beauftragte, wie endlos schwer sich der als kühler Techniker und Manierist bekannte Komponist damit tat, wie er sich wand, rausredete, es mit einer simplen Albeniz-Bearbeitung erledigen, auf Stravinsky abschieben wollte und bis 14 Tage vor der mehrmals vertagten Abgabe keine Note zu Papier brachte … Ob sich das alles so abgespielt hat, ob die Kakofonie der Fabriken und Ravels trällernde Haushälterin wirklich entscheidende Anstösse gaben, ob seine langjährigen platonischen Lieben, die Pariser Millionärsgattin Misia (Doria Tillier) und die Pianistin Marguerite Long (Emmanuelle Devos), Ravel wirklich zum Durchsitzen der kreativen Blockaden und der triumphalen Premiere genötigt haben, relativiert der handwerklich tadellose Film im Abspann selbst. Auf dem Weg dorthin aber ergeben sich einige schöne Hommagen an Ravels zauberhafte Klavierstücke und Trios, und einleuchtend schält die lange Coda heraus, dass ein Opus Magnum immer auch eine Hypothek für seinen Schöpfer ist. Wie er je dazu kam, bleibt so unerklärlich wie eh und je.
Andreas Furler