Emilia Pérez
Jacques Audiard, France, 2024o
A young Mexican lawyer becomes the right-hand woman of a cartel boss who is planning to get out of the drug business and wants to cleanse himself of his past by becoming a woman and a helper of victims of violence. The operation succeeds, but the environment and ingrained reflexes prove to be the real traps in the new life as a woman.
Im Laufe seiner Karriere hat der Franzose Jacques Audiard (Un prophète, Les Olympiades) ein rares Gespür für brennende gesellschaftliche Themen bewiesen: die Frage des Strafvollzugs, die Probleme der Immigration, die neuen Geschlechterfragen. Ein weiteres Beispiel ist diese lyrische Oper über den Geschlechterwechsel eines mexikanischen Kartellbosses, die in Cannes dreifach und bei der Oscarverleihung zweifach prämiert wurde. Das Gelingen ist offensichtlich, die exzellente Besetzung, die Schönheit der Choreografien und der Reichtum der Inszenierung wurden zurecht gepriesen. Zudem sind alle Zutaten für einen grossen, emanzipatorischen Film über die Sache der Transsexuellen vorhanden. Es wäre jedoch falsch, Audiard nur auf die Rolle des sozialen Regisseurs festzulegen. Durch die thematische Vielfalt seines Kinos zieht sich die Frage der Gewalt und der Erlösung. Der Gangster Manitas, der in einer Geschlechtsidentität gefangen ist, die ihn zur Brutalität treibt, verwirklicht seinen Traum, eine Frau zu werden, mit der Hilfe einer Anwältin, die vom Zynismus ihres Milieus angewidert ist. In seiner neuen Identität als Emilia Perez versucht der Protagonist, seine Verbrechen durch die Gründung einer NGO gutzumachen, die den Angehörigen von Gewaltopfern hilft. Darin liegt die Schönheit von Audiards Werk: Er gibt seinen doppelgesichtigen Opfer- und Täterfiguren die Chance, sich vom Bösen loszureissen. Dabei ist die Rettung zum Greifen nah, doch ebenso der mögliche Sturz, die Tragödie. Seine Filme atmen den Zeitgeist und sind zugleich universell.
Émilien Gür